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WagnerOrgel Brandenburger Dom

Die Orgel, ihre Geschichte und Klanggestalt

Die Orgel gilt neben der in Angermünde (St. Marien) als bedeutendster historischer Schatz der Orgellandschaft Brandenburg, dem ein 1602/04 erbautes Werk (III/P) von Martin Peter Grabow (Fürstenwalde) voranging, das 1722 durch Blitzschlag zerstört wurde und Substanzanteile eines 1507 entstandenen Instruments (II/P) von Hans Gaster und Paul Lüdemann enthielt.
Als Joachim Wagner am 14. Oktober 1721 die Feder ansetzte, ließ er wissen, dass er „Auff begehren“ die „folgende Disposition zur neuen Orgel in der Domkirchen alhier in Brandenburg entworffen (...)“ habe, womit er bereits alle Einzelheiten vorwegnahm, wie sie am 23. Januar 1722 zwischen ihm und „Einem hochwürdigen Dom Capitul zu Brandenburg“ kontraktlich „inferiret“ wurden. Nur die vereinbarten 2180 Taler weichen von der ursprünglichen Vorstellung (2200 Tlr.) ab. Wie aus einem von anderer Hand hinzugefügten Kommentar des Entwurfs hervorgeht, hatte der Maître anscheinend mehrere Prospektzeichnungen zur Auswahl gestellt, denn der „Riß von der Structur der Orgel, wornach diese soll gemacht werden, ist mit Capituli kleinen Signet marquiret.“ Der Kontrakt stellt die wertvollste unter den erhaltenen Urquellen dar.
Genau einen Monat später - am 23. Februar 1722 - setzte Zimmermeister „Baltzar Sandtner“ (Balthasar Sandner) seine „Specification“ über die Lohnkosten für die Errichtung der neuen Doppelempore auf, wobei er 64 Taler und 4 Ohm, also etwa 600 Liter (!) Bier verlangte und darauf hinwies, dass neben und nach seiner Arbeit für den Bau auch Drechsler und Tischler nötig seien. Als es am 13. März 1722 zum Kontraktabschluss kam, hatte man sich auf 60 Taler geeinigt. Die geforderte Biermenge wurde gewährt.
Am 13. März 1723 ersuchte das Domkapitel den König um Zollfreiheit für den Transport der in Berlin vorgefertigten Orgelteile. Und zwei Monate später, am 10. Mai, kontrahierte man mit dem Berliner Bildhauer Johann Georg Glume, der - vermutlich auf seinen eigenen Vorschlag hin - die seitlichen Blindflügel nicht nach dem vorliegenden Riss, sondern so ausführte, wie in Berlin (St. Marien) an Wagners Meisterstück. Die beiden tragenden Apostelfiguren Petrus und Paulus gehören zu den eindrucksstärksten Zeugnissen seiner Kunst, wofür er in Brandenburg insgesamt 300 Taler erhielt. Wie lange sich die Auszierung hinzog, zeigt sich daran, dass man erst im Herbst 1724 „noch etwas Schnitzwerck“ verschiffte. Am 1. Oktober wurde dem Bürger und Maler Georg Friedrich Wutig (Neustadt Brandenburg) die prächtige Farbstaffierung des Orgelgehäuses übertragen, wofür ihm acht Monate zur Verfügung standen. Wutig akzeptierte wie zuvor bereits Joachim Wagner eine Sicherheitsklausel, die sein gesamtes „bewegliches und unbewegliches“ Vermögen betraf und ihn im Ernstfall vermutlich existentiell ruiniert hätte, weil sich das Domkapitel „wegen solcher gestalt veruhrsachten Unkosten“ wieder „vollkommen erholen“ wollte.
Am 24. November 1723, als der Fertigstellungstermin (29. September) schon verstrichen war, ließ Wagner wissen, dass er die Orgel zwar „so Weit zu Ende gebracht und Verfertiget“ habe, aber noch Intonationsarbeiten und die Stimmung ausstünden, welche er aus Jahreszeit- und Wettergründen, aber auch wegen der  noch währenden Bildhauer- und Malerarbeiten erst im Sommer 1724 auszuführen versprach. Zudem fertigte er - für das im Chorton konzipierte Instrument - auf Wunsch des Organisten ein zusätzliches Gedackt im Kammerton an. Dass der Meister 1724 in Brandenburg weilte, wird durch eine Buchung belegt, wonach er in jenem Jahr „beym Bau der Neuen Orgel in der Dom Kirchen, in des Hn. Landeshauptmanns von Ribbeck Curia gewohnet hat (...).“ Der Hauptgrund, weshalb sich die Abnahme bis in das Folgejahr verzögerte, dürfte der im Januar 1724 angenommene königliche Orgelbauauftrag für die Berliner Garnisonkirche sein. Endlich, nachdem der Nachtwächter 16 Tage lang als Bälgetreter für eine Generalstimmung gedient hatte, notierten am 18. Juli 1725 die namhaften Revisoren Adrian Lutterodt (Berlin, Organist an St. Nikolai) und Georg Tegetmeyer (Domorganist zu Magdeburg) übereinstimmend, dass „bey genauer untersuchung der Bälge, Canäle, Windführungen, Laden, Pfeiffwerck, und der gantzen inwendigen Structur sich kein fihler gefunden (...).“ Nach dieser Amtshandlung wurden am 19. Juli 1725 an die Visitoren „besage Verordnung pro discretione“ 30 Taler und am Tag darauf „Dem Orgelbauer H. Wagenern“ 126 Taler als „Rest seines Contracts“ ausgezahlt, „weil derselbe die Orgel nunmehro übergeben“ hatte, wodurch sich auch zeigt, dass der Maître für sein zusätzliches Kammer-Gedackt 26 Taler erhielt.
Seit 1749 sind Untersuchungen und Reparaturen des vorher vernachlässigten Werkes belegt, wozu man Wagner-Adepten wie Gottlieb Scholtze (Neuruppin), Peter Migend, Ernst Marx d. Ä. (beide Berlin), Joh. Wilhelm Grüneberg und Sohn (Brandenburg) heranzog, welche die Urgestalt der Orgel unangetastet ließen. Erst 1827 kam es anlässlich einer großen Instandsetzung zum Austausch der alten Schiebe- gegen eine Gabelkoppel durch Carl Wilhelm Grüneberg. Im Juni 1836 erfolgte nach über einhundert Jahren die erste Dispositionsänderung durch Gottlieb Heise (Potsdam), der die Pedalmixtur einem Principalbass 8’ opferte. Nachdem der Dom im Spätherbst 1848 für die Nationalversammlung hergerichtet und mit offenen Kohlebeckenfeuern geheizt worden war, hatte die Orgel „erheblich gelitten“. Danach (1849) wurde sie notdürftig „für den schleunigen Gebrauch“ instandgesetzt. - Am 25. Mai 1858 kam es zu einem Kontrakt mit August Ferdinand Wäldner (Halle), der 1860 die folgenden Änderungen vornahm: Ersatz des Kammergedackt ab c durch Salicional 8’ (Probezinn), Entfernung der Terz und Vox humana zugunsten einer Flauto traverso 8’ (Tanne) im Oberwerk, Änderung der offenen Pedalquinte 6’ „mittelst langer neuer Hüte“ in eine Quinte 10 2/3’, um mit dem Principal- und Violonbaß 16’ einen akustischen 32-Fuß zu erzeugen, Neubau eines „kräftigen Violonbaß 16’ mit einer besonderen Windlade, Regierwerk und Tractur“ sowie einer Flauto amabile 4’ für das Oberwerk, Anlage einer Pedalkoppel (mit separaten Ventilen), „welche diesem Werke jetzt gänzlich fehlt“, Neuanfertigung der Manualklaviaturen (inklusive Koppel) und Windkanäle mit den Sperrventilen sowie Kehlenbelederung der Pedalzungen Posaune und Trompete, Umbennung des alten Violon 16’ in „Flauto grave“ und Anlage einer „möglichst“ gleichschwebenden Temperatur. Anschließend übertrug man die Pflege der Orgel Carl Ludwig Gesell (Potsdam), bis sie nach dessen Tod (1867) seinem Sohn Carl Eduard Gesell zufiel. Nach seinem Ableben (1894) übernahm Georg Liedtke (Brandenburg) die Betreuung, der im Zeitraum 1897/98 verstarb. Im Februar 1898 vertraute man die Pflege Alexander Schuke (Potsdam) an. Dennoch wurde eine 1905 ausgeführte Reparatur und Neuanfertigung zweier Doppelfaltenbälge an Wilhelm Rühlmann (Zörbig) übertragen. Von der Kriegskonfiszierung der Prospektpfeifen blieb das Instrument auf Antrag des Domkapitels dank des Engagements von Alexander Schuke und des Provinzialkonservators „wegen ihres kunstgeschichtlichen Wertes“ verschont. Im selben Jahr (1917) wurde das Instrument von Reinhold Kurth begutachtet, dessen Weitblick sich in dem folgenden Passus erweist: „Es gibt nur noch wenige Orgeln in Deutschland, auf welchen man die Tonschöpfungen Seb. Bachs so zu Gehör bringen kann, wie sie dem Meister selbst vorgeschwebt haben. Wir sind es deshalb einer späteren Generation schuldig, das Werk möglichst in seiner ursprünglichen Eigenart zu erhalten.“ 1921 kam es zur Ausführung von Reparatur- und Reinigungsarbeiten (Schuke/Potsdam), die auch eine „Verbesserung“ der Orgel anstrebten: Neuanfertigung der Pedalklaviatur und der Pedalstimme Principal 8’, Ersatz der Pedalquinte durch ein Cello 8’ und der Rohrflöte 4’ im Oberwerk durch Dolce 8’, Umgestaltung der Quintadena 16’ (OW) in ein Gedackt 16’. 1944 wurde das Werk kriegsbedingt in der Krypta eingelagert, während man das Gehäuse auf der Empore stehen ließ. Der Auftrag zur Wiederaufstellung ging 1947 an die Firma Schuke (Potsdam), welche die im 19. und 20. Jahrhundert erfolgten Entfremdungen vom Original bis 1951 größtenteils wieder rückgängig machte. Dabei tauchten bauzeitliche Inschriften auf, die als Baujahr der Orgel 1723 angeben. Demzufolge hat auch Wagner jenen Zeitraum als Phase der Fertigstellung erachtet. 1965/66 bekam die genannte Firma nach dem Abschluss einer Domrestaurierung erneut Gelegenheit, denkmalpflegerische Arbeiten im technischen und klanglichen Bereich auszuführen, die damaliger Praxis entsprachen. Während der von 1997 bis 1999 ausgeführten Restaurierungsarbeiten durch die Alexander Schuke Orgelbau GmbH (Potsdam) unter Matthias Schuke wurden zudem Mensuren rekonstruierter Pfeifen korrigiert und die im 19. Jahrhundert angelegte gleichschwebende durch eine ältere Stimmung ersetzt. In diesem Zusammenhang war auch die Konservierung und Ergänzung des Prospektschmucks vorgesehen, deren Ausführung dem Restaurator Matthias Seefried (Bremen) zu ver-danken ist. Auf der farbenprächtigen Front sind die Wappen „derer gesambten Herrn des Capituls“ zu finden. Der Klangreichtum bzw. die Klangschönheit des Instrumentes gehören ohne Zweifel zum Bedeutendsten, was die Orgelbaugeschichte je hervorgebracht hat.                                                                 Wolf Bergelt

Der Orgelbauer

Joachim Wagner (1690-1749) ist nicht nur der geistige Vater des brandenburgisch-preußischen Orgelbaus, sondern zugleich eine der interessantesten Künstlerpersönlichkeiten seines Faches überhaupt. Die im 16. Jahrhundert in Sachsen (Königsstein) beginnende Spur seiner größtenteils klerikalen Vorfahren führt in das elterliche Pfarrhaus nach Karow (bei Genthin), wo sich Wagner mehr als seine Geschwister für die Orgel zu interessieren begann, deren Baukunst er u. a. bei Christoph Treutmann d. Ä. und zuletzt bei Gottfried Silbermann erlernte, um schließlich von Berlin aus ein eigenes Konzept höchster Vollendung zu entwickeln, worin sich auch norddeutsche, französische und andere Einflüsse zeigen. Dabei übertraf er seinen sächsischen Kollegen nicht nur innovativ, sondern trotz geringerer Schaffenszeit mit etwa 55 Instrumenten auch dessen Produktivität. Das Spektrum umfasste ein-, zwei- und dreimanualige Werke, darunter einmanualige ohne Pedal und einmanualige mit geteilten Schleifen. Bei größeren Orgeln fallen die reiche koppellose Pedalbesetzung sowie terzhaltige Mixturen (als Scharf 5- oder 6 fach) auf. Neben dem Werkprinzip bediente sich Wagner gelegentlich einer Transmissionslade, die er - wie die zuweilen verwendeten Terrassenwellenmechaniken für kleine Orgeln - aus Platz- und Kostengründen entwickelt hatte. Zudem führte er eine selbst erfundene Manual-Gabelkoppel ein. Je nach Größe stattete er die Instrumente auch mit diversen Spielregistern bis hin zu auf- und abschwebenden Engeln, flügelschlagenden Adlern und pedaltraktierten Pauken aus. Durch seine „Raisons“ zum Bau der Berliner Parochialkirchenorgel ist belegt, dass er - abgesehen von Kammerorgeln - seine Werke prinzipiell im Chorton stimmte. Auch ist überliefert, dass Wagner Stimmungsarten (Temperaturen) verwendete, die - ganz im Sinne Johann Sebastian Bachs - das Spiel aus allen Tonarten zuließen.  
Wagners Wirkungskreis ist bisher für Berlin, die Mark Brandenburg (einschl. Alt- und Neumark), Pommern, Magdeburg und einmal in Norwegen (Trondheim) belegt. Die Herkunft eines in Polen aufgefundenen Instrumentes ist noch ungeklärt.
Unter Wagners Schülern sind besonders dessen zeitweiser Compagnon und unmittelbarer Nachfolger Peter Migend (Berlin), Gottlieb Scholtze (Neuruppin), Ernst Marx (Berlin) sowie Heinrich Andreas Contius (Lettland) hervorzuheben, die seine Kunst kongenial und mehr oder weniger unverändert weitertrugen.
Wagners persönliche Sphäre ist u. a. von seinem Verwandenkreis und zwei Eheverhältnissen geprägt. Nachdem er 1739 in Magdeburg den Tod seiner ersten Frau hin-nehmen musste, heiratete der 49jährige noch im selben Jahr die erst 16jährige Maria Elisabeth Galle aus Trebbin. Aus dieser Verbindung ging 1744 eine Tochter namens Friederica Elisabeth hervor. Danach kam es zur Trennung seitens der jungen Lebensgefährtin, die sich eine eigene Wohnung nahm und später angab, dass Wagner „unordentlich gewirtschaftet“ habe.
Nach diesem Ereignis ging die Auftragslage Wagners zurück, während sich seine gesundheitliche Situation zu verschlechtern begann, bis auf dem Weg zu seinem letzten Werk (in Salzwedel) das Ende absehbar war, Wagner bald mittellos beigesetzt werden und die Orgel durch Gottlieb Scholtze vollendet werden musste. Die entstandenen Begräbnisschulden wurden durch die Versteigerung von Wagners Werkzeug ge-deckt. Seit seinem 250. Todestag erinnert eine Gedenktafel an der St. Marienkirche in Salzwedel an den Künstler, dessen Grabstelle vergessen ist.

Wolf Bergelt

Quelle und weiterführende Literatur:
Wolf Bergelt: Joachim Wagner – Orgelmacher, Regensburg 2012

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