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STUDIOkirche

Die Christuskirche in Oberschöneweide  .  Die Rückkehr eines Gedankens
Oder ... ohne Vision kein neuer Anfang   
Als Anfang der 60er Jahre verantwortliche Musik- und Tonregisseure des VEB Deutsche Schallplatten Berlin einen Aufnahmeraum in Ost-Berlin für das Klassik-Label ETERNA suchten, fanden und entschieden sie sich spontan für die Christuskirche Oberschöneweide. Die akustischen Vorzüge dieses Kirchenraumes überwogen die vorhandenen Mängel, die z.B. in einer ziemlich desolaten Heizungsanlage und defekten Kirchenfenstern bestanden, sowie darin, daß es keinerlei Chancen für einen Telefonanschluss gab.
Zu den vorzüglichen klanglichen Bedingungen kam die relativ ruhig Lage der Kiche und die Möglichkeit, bei großen Orchesterbesetzungen Kirchenbänke auszubauen, um das Hauptschiff der Kirche mitzubenutzen. Jahre später wurden die Bänke durch variables Gestühl ersetzt und die kaputten Kirchenfenster mit dämmenden Materialen zugenagelt. Nicht zuletzt wurde die Aufnahmeplanung durch kooperative Zusammenarbeit mit dem damaligen Pfarrer Erich Busse sehr unterstützt und gefördert. Die relativ ruhige Lage der Kirche konnte jedoch empfindlich durch Flugverkehr gestört werden, besonders in den Jahren in denen der Flughafen Tempelhof noch regelmäßig angeflogen wurde und die Einflugschneise genau über der Kirche verlief.
Auch ungünstige Winde, die den Verkehrslärm von der nahen Wuhlheide auf die Mikrophone überwehten, erforderten von Dirigenten, Sängern, Musikern und dem Aufnahmeteam oftmals grenzenlose Geduld, Disziplin und höchste Konzentration um die ruhigen Phasen für die Aufnahme zu nutzen. Viele Künstler, die in der Kirche aufgenommen haben, werden sich daran erinnern. Auch daran, wie oft sie vom Aufnahmeteam gebeten wurden, bestimmte musikalische Abschnitte immer wieder zu wiederholen, bis diese ohne Außengeräusche und dazu musikalisch-künstlerisch perfekt auf dem Tonband aufgezeichnet werden konnten, um sie dann später beim Schnitt in den Gesamtablauf des Musikwerkes, für den Hörer natürlich unhörbar, einzumontieren.
Viele Anwohner um die Christuskirche herum werden sich vielleicht noch an die Braunkohle-Brikettberge erinnern, die ab Herbst und in den Wintermonaten hinter der Kirche lagerten und verheizt wurden, um erträgliche Temperaturen im Kirchenraum herzustellen und so die Aufnahmen erst zu ermöglichten. Allerdings bestand auch da immer die Gefahr, daß bei Erreichen einer bestimmten Raumtemperatur die veralteten Gußheizkörper durch laut knackende Geräusche Aufnahmeunterbrechungen erzwangen.
Erst 1995 konnte die alte Heizungsanlage demontiert und durch eine neue, moderne und fast lautlose Warmluftheizung ersetzt werden.
Trotz dieser nur angedeuteten Probleme wurden in der Christuskirche zahllose Aufnahmen mit allen renommierten Orchestern und Chören aus Ost-Berlin und darüber hinaus mit vielen international bekannten Dirigenten und Solisten produziert, die bis heute durch ihre überragenden künstlerischen und klanglichen Qualitäten höchstes Ansehen genießen und die Christuskirche Oberschöneweide als Schallplattenaufnahmestudio weltweit bekannt gemacht haben.
Zu den Orchestern und Chören, die für die Deutsche Schallplatten/ETERNA regelmäßig in der Christuskirche produzierten, gehörten unter anderem die Akademie für Alte Musik, das Berliner Sinfonie Orchester (BSO), das Kammerorchester "Carl Philipp Emanuel Bach", das Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin, das Orchester der Komischen Oper und die Staatskapelle Berlin. Dirigiert wurden diese Klangkörper u.a. von Paul Dessau, Claus Peter Flor, Heinz Fricke, Hartmut Haenchen, Günther Herbig, Bernhard Klee, Helmut Koch, Kurt Masur, Heinz Rögner, Kurt Sanderling und Otmar Suitner. So wurden u.a. unter Otmar Suitner und der Staatskapelle Berlin alle Sinfonien von Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms und Dvorak in der Christuskirche aufgenommen. Unter Kurt Sanderling und dem BSO alle Sibelius-Sinfonien, eine Auswahl von Sinfonien von Mahler und Schostakowitsch. Mit dem Pianisten Peter Rösel wurden alle Klavierkonzerte Beethovens und Rachmaninoffs eingespielt. Bei Opern und Oratorien wirkten u.a. die Sängerinnen und Sänger Theo Adam, Eberhard Büchner, Dietrich Fischer-Dieskau, Helen Donath, Sylvia Geszty, Jochen Kowalski, Siegfried Lorenz, Edith Mathis, Kurt Moll, Dagmar Schellenberger, Peter Schreier (auch als Dirigent), Reiner Süß, Siegfried Vogel und Bernd Weikl mit.
Neben Sinfonik, Kammermusik und Oratorien wurden auch zahlreiche Operngesamtaufnahmen für ETERNA produziert u.a. "Die lustigen Weiber von Windsor" (Nicolai), "Alfonso und Estrella" (Schubert), "Der Wildschütz" (Lortzing) oder "Puntila" (Dessau). Alles Aufnahmen die noch heute über das Label BERLIN Classics als CDs zu beziehen sind.
Nach Auflösung und Verkauf der "Deutsche Schallplatten Berlin" 1991 verkümmerte der Aufnahmebetrieb in der Christuskirche zusehends. Erst ab 1995 wurden Anstrengungen unternommen, die Kirche als Aufnahmestudio zu reaktivieren. Das besondere Interesse der Firma harmonia mundi France, in dieser Kirche wieder zu produzieren, war Anlass genug, mit aktiver Unterstützung des Gemeinderates und der Pfarrerin Annette Schwer, wesentlich verbesserte Aufnahmebedingungen (Heizung, Telefon, Dämmung) für eine künstlerisch fruchtbare Aufnahmeperiode zu schaffen. Aus dieser Zeit stammt eine Fülle herausragender Produktionen mit der Akademie für Alte Musik Berlin, dem RIAS-Kammerchor und zahlreichen internationalen Solisten. Viele dieser Produktionen u.a. die Oper "Orpheus" (Telemann) und von Johann Sebastian Bach das Weihnachtsoratorium und die Motetten entstanden unter der Leitung von René Jacobs.

Eberhard Geiger (2004)






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